Im Oktober begrüßten wir Alfred Graf von Keyserlingk als Referenten in der Vortragsreihe des International Friends Dresden e.V. Durch seine mehrjährige Tätigkeit als Vorsitzender der Kammer für Privatisierung am Obersten Gericht des Kosovo, konnte er den Anwesenden einen Einblick in die Schwierigkeiten des Rechtstransfers von der Europäischen Union in die Balkanrepublik geben.
Die Kosovoregion stand seit dem 15. Jahrhundert stets im Spannungsfeld europäischer Mächte, wie ein kurzer Geschichtsabriss zu Beginn des Referats zeigte. Nach der permanenten territorialen Neuordnung, zunächst der Eingliederung in das Osmanische Reich, dann in die Republiken Jugoslawien und Serbien, richtete die UN-Resolution 1244 aus dem Jahr 1999 eine Übergangsverwaltungsmission der Vereinten Nationen im Kosovo (UNMIK) ein. Im Anschluss an die Unabhängigkeitserklärung der Republik Kosovo 2008, entsandte die EU die European Union Rule of Law Mission (EULEX), die die rechtsstaatliche Entwicklung der jungen Republik überwachen und mit ausgebildetem Personal unterstützen sollte. In diesem Rahmen arbeitete auch Herr Graf von Keyserlingk im Kosovo.
In seiner Arbeit stieß er dabei einerseits auf großes Interesse, gute Zusammenarbeit und den dankbaren Willen zum Neuanfang seiner kosovarischen Kollegen, andererseits allerdings auch auf viele Probleme in der Umsetzung europäischer Richtlinien. Allen voran verursachte die Vielsprachigkeit, sowohl der EULEX Mission als auch der Republik Kosovo, Verständigungsschwierigkeiten. So musste ein hoher Übersetzungsaufwand betrieben werden, um eine gegenseitige Kommunikation zu gewährleisten, der das Arbeitstempo erheblich verlangsamte. Außerdem erschwerten historische und justiziare Sonderfälle, z.B. in Fragen der Eigentumsverhältnisse von Betrieben, die Justizarbeit und machten einen pauschalen Rechtstransfer von der EU in den Kosovo nahezu unmöglich.
Als grundsätzliches Problem des Transfers stellte Herr Graf von Keyserlingk die unterschiedlichen historischen Entwicklungen der westlichen EU-Länder und dem Kosovo heraus. So stehen den plötzlichen juristischen Neuerungen in der Gesetzgebung keine adäquaten gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Anpassungen entgegen. Beispielsweise wird die kosovarische Gesellschaftsordnung, in der nach wie vor die starken Familienverbände als zentrale Pfeiler für viele staatliche Leistungen wie die Altersvorsorge einsteht, in der „importierten“ Rechtssprechung nicht berücksichtigt.
Herr Graf von Keyserlingk schätzte die Ursachen für diese Komplikationen in der unzureichenden Vorkenntnis der EU über den Kosovo und seiner Strukturen ein. Nichtsdestotrotz zog er durch die zunehmende Stabilisierung des Landes ein positives Resümee der EULEX Mission. Im Ausblick forderte er schließlich gelockerte Einreisebestimmungen für die Kosovaren in die EU, um den kulturellen Austausch und eine damit verbundene Annäherung zu vereinfachen.
Im Anschluss wurde bei Wein und einem kleinen Imbiss angeregt weiter diskutiert.